Lichtenrade     

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Lichtenrades Ursprung liegt im Dunkeln. Um das Jahr 1250 dürfte es gegründet worden sein. Dafür sprechen folgende Umstände:

 

In dieser Zeit soll ein gewaltiger Einbruch der Nordsee zahlreiche Bauernschaften Flanderns aus ihren Sitzen aufgescheucht haben. Die Flüchtlinge zogen der Überlieferung nach aus dem äußersten Westen deutschen Landes in seinen damaligen äußersten Osten. Auf dem Fläming und in drei Ortschaften dicht vor den Toren Berlins, die noch heute angeblich flamländische Namen tragen, in Dahlem, Lichterfelde und Lichtenrade, fanden sie ihre neue Heimat.

 

Die flachgedeckte rechteckige Kirche mit ihren heute vermauerten, aber teilweise noch sichtbaren Spitzbogenfenstern weist auf dieselbe Zeit hin. Der "romanische Spitzbogenbau" bildete den Übergang zur Gotik und war zwischen 1200 und 1300 im Brauch.

 

Die alte, heute einzige Glocke trägt in Minuskeln die Inschrift: Rex gloriae Christe, veni cum pace Christus, König der Herrlichkeit, komm mit Frieden! Das Schreiben in Minuskeln, d.h. in kleinen, eckigen, lateinischen Buchstaben, kam aber erst um 1200 herum auf.

 

In unserer Urkunde um das Jahr 1375, über die wir alsbald reden wollen, erscheint Lichtenrade schon als festgefügter Ort. Es ist danach kaum anders anzunehmen, als dass er damals schon eine ganze Reihe von Jahrzehnten bestanden haben muss. Eine Überlieferung will des Weiteren wissen, dass Tempelritter, die in Tempelhof einen Sitz hatten, bei der Gründung von Lichtenrade mittätig gewesen seien. Das wird bestätigt durch die Tatsache, dass das alte Dorf in nordsüdlicher Richtung und mit nordsüdlicher Zugangsstraße angelegt worden ist. Die Nachbardörfer Mahlow, Großziethen und Buckow öffnen sich im Gegensatz dazu nach Ostwesten. Sie weisen also nicht auf Tempelhof Berlin, sondern wahrscheinlich auf Spandau hin, die alte slawische Hauptstadt. Sie sind ja aber auch ihrem Namen nach wendischen Ursprungs, also älter als Lichtenrade. Fasst man das Gesagte zusammen, so ergibt sich folgende Vermutung: Lichtenrade ist um das Jahr 1250 von flamländischen Bauern, vielleicht unter Leitung des Tempelhofer Ritterordens, besiedelt worden, mitten hinein in eine echt wendische Gegend als ein Vorort deutschchristlicher Kultur. Die starken Mauern seiner Kirche waren nie bestimmt, große Wölbungen zu tragen. Sie sollten ebenso wie die schmalen, nach innen sich stark verjüngenden Fenster Verteidigungszwecken bei einem etwaigen heidnischen Überfalle dienen.

 

Mit alledem ist aber nicht gesagt, dass nicht schon in vorchristlicher Zeit, sei es in wendischen oder gar altgermanischen Tagen, an unserem Dorfteich Leute gewohnt hätten. In der Südwestecke unseres Friedhofes an der Kirche fanden sich mitunter uralte Scherbenreste, die beim Spatenstich, ja in der zufassenden Hand in Nichts zerbröckelten. Ein phantasiebegabtes Gemüt konnte über diesen Trümmerstückchen an alte Aschenurnen denken und sich an unseren schönen Weiher, etwa dort, wo jetzt unsere Kirche steht, eine längst versunkene altheidnische Kultstätte zaubern.

 

Ums Jahr 1375 herrschte in Deutschland Karl IV. aus dem Hause Luxemburg. Seine Kaiserstadt war Prag. Böhmen, Mähren, Schlesien und Brandenburg gehörten zu dem Besitze seines stolzen Hauses. Er ließ ein Landbuch aufstellen über die Größe, die Hofezahl, die Rechte und Pflichten aller Ortschaften, die ihm untertan waren. In diesem Landbuche, das in gewisser Weise so ein Stück erstes Grundbuch war, wird Lichtenrade zum ersten Male urkundlich erwähnt. "Lichtenrade", so heißt es darin, "hat 67 Hufen. Davon besitzt der Pfarrer vier Freihufen, die Kirche eine. Jede Hufe gibt als Zehnt 9 Scheffel Roggen, drei Scheffel Gerste und einen Scheffel Hafer. Jede Hufe pflegte ferner als Zins zwei Schillinge und als Bede fünf Schillinge zu entrichten. Doch sind seit sechs Jahren Zins und Bede in Gnaden erlassen. (1 Hufe = ca. 30 Morgen, 1 Morgen = 2.553 m², also  513,153 ha.

 

Wir halten an. Mit seinen 67 Hufen, d. h. gut 3.000 Morgen (Herr Pfr. Klein rechnet hier mit etwa 45 Morgen je Hufe! Das wären 765,9 ha - R.O.) , war und ist die Gemarkung Lichtenrade besser ausgestattet als sonst irgendeine Ortschaft im Kreise Teltow. Es ist dementsprechend von Anfang bis zur Gegenwart eines der steuerkräftigsten Dörfer gewesen. Noch im Jahre 1800, ja noch 1860 ist das nachzuweisen. Die vier Hufen der Pfarre und die eine Hufe der Kirche fand der Schreiber dieses Aufsatzes noch ziemlich unberührt vor, als er im Jahre 1893 das Pfarramt übernahm. In den letzten beiden Jahrzehnten ist allerdings davon manches verkauft worden. Den Unterschied zwischen Zehnt, Zins und Bede erklärt man sich am besten derart, dass ersterer die Abgabe an die Grundherren darstellte, Zins und Bede aber gingen an den Landesherren, der eine mehr für staatliche Zwecke, der andere ging für seinen Hofhalt. Weswegen Zins und Bede in Gnaden erlassen waren, gibt das Landbuch nicht an. Vielleicht herrschte damals auch in unserer Gegend, wie sonst in Europa, die Pest. Vielleicht waren aber auch unsere Felder "ersoffen", wie so oft in späteren Jahrhunderten.

 

Das Landbuch fährt fort, die Grundherren zu nennen, die sich damals in das Herrenrecht in Lichtenrade teilten. Den Hauptanteil am Zehnten hatte Johannes von Wulkow, Doch war er ebensowenig wie die anderen in unserem Orte ansässig. Infolgedessen haben wir hier weder damals noch je eine Burg oder ein Schloss gehabt. Das Sanatorium, welches sich heute Schloss Lichtenrade (Haus der Fam. Bornhagen, Alt-Lichtenrade 100, im Krieg zerstört, durch Neubau ersetzt. - R.O.) nennt, war früher ein Bauernhof, und zwar der des Erbschulzen. Ebenso stand hier nie ein Rittergut. Vielmehr teilten sich von Anfang an die Kirche und die Pfarre, ferner zwölf Bauernhöfe zu dreizehn gleichen Teilen in die ganze Gemarkung. Das geschah derartig restlos, dass für die sieben Kossäten, später waren es vier, zuletzt nur zwei, nur ganz kleine Landstücke übrig blieben.

 

Aus der Hand des Herrn v. Wulkow und seiner Genossen ging unser Dorf in schnellem Wechsel auf andere Eigentümer über. 1418 besaßen die Herren von Krummensee, die in Barnim ansässig waren, das halbe Dorf. 1427 verschrieb Cuno von Krummensee seiner ehelichen Hausfrauen Kethen dreizehn Groschen Abgaben zum Leibgedinge. 1437 wurde Heinz Donner, der in Berlin wohnte, mit bedeutendem Gerechtsnamen über unseren Ort belehnt. 1450 sind nach dem Schoßregister der mittelmärkischen Kreise die 64 Huben Lichtenrodes meyns hern merggrauen. Sie gehörten also dem Markgrafen. Wo dabei von den 67 Hufen, die früher da waren, drei hingekommen sind, bleibt im Dunkel. Nach dem Schoßregister des Jahres 1480 sint 9 huffen wust (sind 9 Hufen wüst), sie wurden also nicht bebaut.

 

Endlich im Jahre 1475 tritt eine gewisse Ständigkeit im Herrenrechte über unseren Ort ein. Kurfürst Albrecht Achilles belehnte einen Bürger von Berlin - Cölln, namens Bartholomäus Schaum (oder Schum) mit Gericht, Kirchlehn, Renten und Zinsen. Seitdem haben die Schäume zwei Jahrhunderte lang Lichtenrade besessen, d. h. bald nur teilweise. Schon 1495 wurde der Ort unter die Erben von Bartholomäus Schaum geteilt, und schon 1515 verkauften diese zwei Drittelteile an die St. Erasmus-Stiftskirche zu Berlin - Cölln.

 

Südlich vom Berliner Schlosse, wahrscheinlich zwischen Brüder-  und Klosterstraße, lag einst die St. Erasmus-Stiftskirche, die Hofkapelle. Sie war durch einen gedeckten Gang über den Schlossplatz fort mit der kurfürstlichen Residenz verbunden. Später ist diese Kirche niedergerissen und an ihrer Statt der Dom nördlich vom Schlosse erbaut worden. Mit dem Verkaufe an das Erasmusstift kam also Lichtenrade, zunächst, wie wir hörten, mit zwei Dritteln, in das Eigentum des Doms, der noch heute bei uns das Patronatsrecht und zwei Grundstücke besitzt. Aus dem Kaufvertrage des Jahres 1515 hören wir folgende Worte:

Wir hiernach geschriebene Herrn Thomas, Eggebrecht, Siegmund, Joachim Schum, Gebrüder und Vettern, bekennen und thun kund öffentlich mit diesem Brieve vor Uns, Unsere Erben und Erbnehmer und sunst vor allen manniglich, die insehen, hören oder lesen, dass wir mit wohlbedachtem Muth, reifem Rath unserer Freud und rechtem Wissen, auch aus Vergunst und Volborth des durchlauchtigsten Hochgebohrenen Fürsten und Herrn Joachim Markgraven zu Brandenburgk, Churfürsten usw., unseres gnädigsten Herrn, zu einem rechten ewigen eygenthum recht und redlich verkaufft haben und verkauffen gegenwärtiglich in Krafft und Macht dieses Brieves den würdigen und Ehrhafftigen Herrn Deckant, Thesaurarien (Schatzmeister) und gantzem Kapittel sand-Erasmus-Stiftskirchen in dem Churfürstlichen Slo's (Schloss) Cöln an der Spree gelegen und Iren Nachkommen unser zweyteil Dorfs Lichtenrade in dem Teltow gelegen an obersten und nydersten Gerichten, Brüchen, Fellen, Diensten, Kirchlehn, Eckern, Hofen, Wysen, Weyden, Holtzungen, Pusthen, Wassern, Teichen, Teichsteten, Zehenden, Rauchhünern und allen anderen Nutzungen, Zugehorungen und Gerechtigkeiten, wie das in seine Grentzen gelegen ist. Der Kaufpreis, der an guter Müntz und Landeswehrung entricht und bezahlt wurde, betrug 559 Schock Taler(1 Schock = 60 Stück - R.O).

Bei dieser Kaufsumme müssen wir uns daran erinnern, dass es sich nicht um unmittelbares Eigentumsrecht, sondern nur um Herrenrecht am Grund und Boden handelte.

 

Im Jahre 1539 wurde die Reformation in Brandenburg eingeführt. Kurfürst Joachim II. zögerte erst. Aber der Druck seiner Landstände wurde schließlich so groß, dass er nachgab. Dabei spielten die Junker und Landsassen in vielen, Lichtenrade benachbarten Orten, eine entscheidende Rolle. Wir nennen einige Namen: Jochen von Schwanebeck auf Teltow, Jochen von Hacke zu Sand-Machnow, Hans von Berne zu Groß-Berne (Groß-Beeren), Christoph von Berne zu Schönow, Carl Sigmund v. d. Liepen zu Blankenfelde, Otto von Britzke zu Britzke (Britz), Sigmund von Otterstedt zu Dalwitz, Heinrich von Thümen zu Leuenbruch. Lichtenrade wird dabei nicht erwähnt. Es fehlte uns der eine Herr, der seinen vollwichtigen Namen mit einwerfen konnte.

 

Immerhin aber besitzen wir eine Mitteilung, aus der hervorgeht, dass unser Ort bald darauf einen Evangelischen Pfarrer hatte. Im Jahre 1547 setzten die Bauern von Lichtenrade und Buckow, die damals zu einer Parochie verbunden waren, ihren Prediger und ihren Küster eigenmächtig ab, schlossen die Kirchtür vor ihnen zu und entzogen ihnen alles Einkommen. Was die Bauern zu solchem Vorgehen veranlasste, wird nicht mitgeteilt. Wir erfahren nur, dass der Pfarrer Laurentius Briesing kränklich und alt war. Glaubenssachen scheinen nicht im Spiel gewesen zu sein. Der vergewaltigte Geistliche wandte sich in seiner Not an das kurfürstliche Konsistorium und dort nahm sich ein Mann seiner an, der in Reformationsgeschichte eine nicht unbedeutende Rolle spielt: Johann Agricola. Dieser war wie Luther aus Eisleben gebürtig.

 

Der große Reformator hatte sich des jungen Landmanns zunächst liebevoll angenommen, ihm auch die Pfarrstelle in der gemeinsamen Heimat verschafft. Später war Agricola auf Glaubenslehren verfallen, die in einigen Stücken von Luther abwichen, hatte darüber, doch ohne seinen Namen zu nennen, eine Schrift geschrieben, in der er den Reformator heftig angriff, war aber dann wieder zu feige gewesen, sich auf eine Anfrage hin nicht zu seinem eignen Machwerke zu bekennen und schließlich von Luther als ein Lügner fallen gelassen worden.

 

Indes Joachim III., der soeben erst evangelisch geworden war, sollte, wahrscheinlich aus Gegensatz gegen den sächsischen Hof, den Einfluss Luthers bei sich nicht allzu mächtig werden lassen. Daher berief er ganz unerwartet den Agrikola, der sich in Wittenberg unmöglich gemacht hatte, als seinen Hofprediger und ersten Präsidenten des neugegründeten evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg nach Berlin. So kam es, dass der "würdige Herr Superattendent Magister Johann Eischleben" unserem Pfarrer Briesing in seinem verzweifelten Kampfe gegen die Bauern zu Lichtenrade und Buckow beistehen konnte. Die Gemeinde musste für "Frevel und Gewalt" 50 Gulden zahlen und den vertriebenen Pfarrer wieder aufnehmen. Doch starb Briesing kurz darauf. Seit seinem Tode besitzen wir die Namen aller Pfarrer Lichtenrades, können auch genau nachweisen, in welchen Jahren sie ihres Amtes gewaltet haben. Es sind 17 Geistliche. Durchschnittlich hat ein jeder 22 1/3 Jahr die Pfarrstelle innegehabt.

 

Wie schon im Kaufvertrage des Jahres 1515, so spielen "Wasser, Teiche und Teichstetten", besonders aber der "große Puhl" in der Mitte des Dorfes durch alle Jahrhunderte eine bedeutende Rolle. Ob es daher kommt, dass diese Wasser in früheren Jahrhunderten fischreicher waren als jetzt? Man kommt auf diesen Gedanken, wenn man ein Schriftstück aus dem Jahre 1570 in die Hände bekommt, das auf 2 1/2 großen Aktenseiten den Rückkauf von zwei Dritteln unseres Dorfteiches vom Dom an einen der "Schäume" festsetzt. Es fallen dabei so gewichtige Worte, dass man sich ernsthaft fragt, ob der Dorfteich so vielen Aufwands wert sei. Der Kurfürst selber hat den Vertrag unterschrieben. Er beginnt also:

"Wir, Joachim von Gottes Gnaden Markgraf zu Brandenburg, des heiligen Römischen Reichs Ersatzkämmerer und Churfürst in Preussen, zu Stettin, Pommern, der Kaßuben, Wenden, und in Schlesien zu Kroßen Hertzog, Burggraf zu Nürnberg und Fürst zu Rügen, bekennen und thun Kund offentlich vor Uns, Unsere Erben und Nachkommen, Markgrafen zu Brandenburg, auch sonsten kegen idermenniglich . . ." Weiter heißt es von dem Käufer, "dass er und seine Leibs Lebens Erben die Fischerey des Pfuels und alle und jede Nutzung und Gerechtigkeit, wie dieselbe itzo ist, hinführe zu rechtem Mannslehnrecht und Gewohnheit empfahen sollen."   Auch werde der Kurfürst ihn in allen Nutzungen des Pfuels und der Fischerei, "Zugehörungen und Gerechtigkeiten jederzeit gnadigst schützen" und "konsentiere, bewillige, konfirmiere und bestätige" den Verkauf. "Urkundlich mit unserem anhangenden Ingesiegel besiegelt und gegeben zu Cölln an der Spree Freytags nach Purifikationia Mariae, Christi unseres Lieben Herrn und Seligmachers Geburt tausendfünfhundert und danach im siebzigsten Jahre."

 

Die Lasten, welche auf den Bauern in alter Zeit lagen, waren sehr groß. Schon aus dem Landbuche Kaiser Karls IV. hörten wir davon. Im Jahre 1515 werden sie alle nochmals aufgezählt und sind keineswegs geringer geworden. Dabei erfahren wir, dass ein einzelner Bauer, Dames Korpten z. B., jährlich an den Grundherren 36 Scheffel Roggen, Hafer, 54 Groschen Zins, 2 Hühner und außerdem den vollen Zehnten zu liefern hatte. Die ganze Schwere aber des Druckes, der auf der Bauernschaft lag, wird uns klar, wenn wir die Akten eines Prozesses durchlesen, den im Jahre 1610 die "Schäume" und der Dom gegen die "Pauern" führten. In den drei strittigen Punkten zogen die letzteren ohne Ausnahme den kürzeren. Erstens, sie wurden verurteilt, nach "Landesbrauch" bei jeder Hochzeit im Hause des Grundherrn, sei es einer Schwester oder einer Tochter, zur "Ausrichtung" folgendes insgesamt beizusteuern: 55 Scheffel Hafer, 59 Hühner, 59 Gänse, 20 Kälber, 57 Mandeln Eier (1 Mandel = 15 Stück - R.O.), 55 Thaler, kurz ein Vermögen nach damaligen und heutigen Werten auch. Ein Glück für die Bauern, dass nur noch ein Drittel des Dorfes den "Schäumen" gehörte, zwei Drittel der Last fielen ja jedesmal aus - des Domes wegen!

 

Zweitens bekamen die Bauern den "Abschiedt", dass sie zu "Zinß und Zehend Tagen" ihre Herren, die die Zahlung entgegen nehmen wollten, aus Berlin kostenlos herauszuholen und wieder zurückzufahren hätten.

 

Drittens wurde ihnen bedeutet, dass sie von den Grundherren keine Mahlzeit zu fordern hätten, wenn sie denselben die Pächte nach Berlin brächten. Nur wenn sich die Herren an einem Orte aufhielten, der weiter als zwei Meilen von Lichtenrade entfernt sei, hätten sie auf eine Beköstigung Anspruch.

 

In jenen Tagen hatte Lichtenrade 11 steuerpflichtige Bauern, dazu kam noch der Erbschulze, der lastenfrei war, das ergibt also die Zahl von 12 Höfen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege aber, im Jahre 1652 , zählte unser Ort nur noch 7 Bauern, dazu 3 Kossäten. Gut ein Drittel der Gemarkung lag also "wüst". Im ganzen waren 19 erwachsene männliche Einwohner vorhanden, also eine Gesamtbevölkerung von etwa 60 Köpfen. Nur ein einziger Bauer war im Orte geboren, alte anderen waren, zum Teil aus fremden Kreisen, zugezogen. Einer war unter dem Oberleutnant Goldacker kurfürstlicher "Reuter" gewesen, also ein Kriegsmann, der sich hernach hier zur Ruhe setzte.

 

Wie geringwertig damals Grund und Boden war, offenbart ein Kaufvertrag aus dem Jahre 1634. Der Schmiedehof, ein Grundstück von gut zwei Morgen Größe, wird "mit allem, was dabei niedt- und nagelfeste ist, auch sonsten alle dazu gehörige Frei und Gerechtigkeiten, nichts ausgeschlossen, vor und um sechs und zwanzigk Schock Märkische Wehrunge" verkauft. 26 Schock Groschen sind 65 Taler. Das Grundstück war heutzutage bis vor kurzem mit 18.000 Mark eingeschätzt.

 

Während des Dreißigjährigen Krieges ging es in Lichtenrade wild her. Die Kirche wurde erbrochen. Die Türen zertrümmert. Das kostbare Abendmahlsgerät geraubt. Eine der Glocken entführten die Schweden. Die andere soll nur dadurch gerettet worden sein, dass man sie im Teiche versenkte.

 

Erst mit dem Amtsantritte des Pfarrer Caspar Seidel im Jahre 1639 scheint wieder einige Ordnung eingekehrt zu sein. Wenigstens beginnen von da die Kirchenbücher und setzen sich ohne Unterbrechung bis zur Gegenwart fort. Alle älteren Bücher sind verloren gegangen.

 

Die älteste Kirchenrechnung hat folgenden Wortlaut:

"Anno 1639 ist an Vorrat an Pfarrer Seidel übergeben worden:

12 Thaler von Heinrich Ölven, weil derselbe solche bei sich gehabt,
16 Groschen von Schaums Hofe,
15 Groschen für 100 hohle Dachsteine so Herr Olven bekommen,
4 Groschen noch für 20 hohle Dachsteine.
Thut das Ganze 13 Thaler, 11 Groschen.

Hierzu kommt noch 11 Thaler 12 gr. vor rocken und stro (Roggen und Stroh),
16 Groschen von Schaums Hofe.
Thut 12 thler 4 gr. Dieses zu vorrath als 13 thlr. 11 gr., bleibet zum ganzen vorrath 25 thlr. 15 gr.
Davon außgegeben:
2 thlr. dem Herrn Probst für Einführung des Newen Pfarrn (neuen Pfarrers).
1 thlr. 6 gr. vor den Kelch und paten (Abendmahlskelch und Teller), weil der silberne von Soldaten geraubt,
4 gr. d. 2. May eine Exulanten (d. h. einen heimatlosen evangelischen Christen, wahrscheinlich einem flüchtigen französischen Hugenotten. Eine Ausgabe für Exulanten findet sich immer wieder in den Kirchenrechnungen der nachfolgenden Jahre),
2 gr. vor einen kleinen glockenstrang,
6 gr. einer armen pfarrwittben,
10 thlr., 12 gr. vor 7 Scheffel saatrocken, weil der kirchenrocken in Henkels scheune verbrannt (Henkel war Kirchenältester),
22 gr. die Kirchschlösser und thüren zu machen, weil die Soldaten sie verderbet,
13 gr. vor hacken, haspen und klincken zum thorwege und thüren auf dem kirchhofe,
7 gr. vor stäbeeisen,
2 gr. den chorrock zu waschen (der Pfarrer trug also noch über dem Talar den weißen Überhang),
6 thlr. 6gr. vor 400 Dachsteine und fahrgelt zu Köpnigk,
2 thlr. vor Dach und Henheln vor handlangung,
1 thIr. 8 gr. vor einen wispell Kalck, meßgelt, und überführe zu Köpnigk,
6 gr. vor 2 stiele auf den Kirchhof,
18 gr. dem Zimmermann thür und thor zu machen,
6 gr. vor glockensmir,
2 gr. den chorrock zu waschen;
das thut 29 thlr. 16 gr. abgezogen von Vorrat, als 25 thlr., 15 gr. bliebe die Kirche, weil so viel vorrath nicht vorhanden, 4 thIr. 1 gr. schuldig.

Seit dieser ersten Kirchenrechnung sind alle Kirchenrechnungen im Pfarrarchiv vorhanden. Es kann also seit bald drei Jahrhunderten jeder Pfennig Ausgabe in unserer Kirche nachgewiesen werden.

Das älteste Taufbuch von Lichtenrade beginnt also:

"Im Namen der hochheiligen und unsereinem Dreieinigkeit! Genaue Aufführung, was vor dem Kind in der h. Taufe dem Herrn Christo vorgetragen worden:
Anno 1639 keines nicht.
Anno 1640, den 9. August ist Peter Henckels, Bauers und Gottesvattern (Kirchenältesten) Hausfraun ihre Tochter durch die seligmachende Taufe dem Herrn Christo inkorporiert (einverleibt) worden. Die Taufpaten sind gewesen folgende: Caspar Seydels, Pfarrherrn daselbst Eheliche Hausfrau, George Höfe, ein Knecht von Malow, der Müller George zu große Ziethen, Peter Gaue, Bauer allhier, Anna, des Müllers Tochter zu Glasow, damals Gauens Braut, Cathrina Pehlings von große Ziethen, Georg Grote, Bauer allhier.
Gott gebe Glück zur Auferziehung!

Den 27. September ist des Ehrwürdigen Caspari Seydells Pfarrherrn zu Lichtenrade herzliebstes Töchterlein dem Herrn Christo durch die seligmachende Taufe inkorporiert worden. Sein Nahme heißt Anna Maria. Die Taufpathen sind gewesen: Catarina Thilin, Pfarrherrn zu Woltersdorf Hausfrau, Anna Röricke, Pfarrherrn zu Britz Hausfrau,Anna Hertzbergin, Hans Pauls Bauers in Buckow Hausfrau, Anna Schultzin Andres Wentzels Bauern in Buckow Hausfrau, Barbara Peter Linkes Raths Zimmermann zu Kölln Hausfrau, Herr Magister Jakob Helwig damals Probst zu Kölln, Herr Andreas Lindtholtz, Churfürst. Brandenburg. Kammergerichts Advokat und Bürgermeister der Stadt Berlin, Hans Friedrich von Thumen Erbsasse auf Dittersdorf, Herr Andreas Ideler Handelsmann zu Kölln.
Gott gebe seinen Segen zur Auferziehung!

Summe: 2 Kind getauft.

Das älteste Traubuch von Lichtenrade beginnt mit folgenden Eintragungen: 

"Verzeichnis derer Personen, so sich in den h. Ehestande begäben haben:
 Anno 1639
Anno 1640 den 19. April ist gurgen Pauel aus Bukow bürtigt mit Catharina Bernauws Ehelichen kopuliret.
Gott gebe ihm seinen Segen durch Christum, Amen.
Anno 1641 nichts.
Anno 1642 nichts.
Anno 1643 nichts.
Anno 1644 den 16. Juny ist Hans Behlingk mit Anna Halwegs Ehelichen kopuliret.
Gott gäbe seinen Segen durch Christum, Amen.
Anno 1645 den 30. November ist Jones Lehmann Leinweber von Teltow mit Katharina Saßen Ehelichen kopuliret.
Gott gäbe ihm seinen Segen durch Christum, Amen.

Dann hat sich 7 Jahre lang niemand trauen lassen. Erst sechs Jahre nach dem Schluss des Dreißigjährigen Krieges fand Peter Schulze den Mut, zum Weihnachtsfeste sich mit einer Halwegstochter Susanne "vertrauen" zulassen.

 

Mein Herr Amtsvorgänger Kaspar Seidel, der in besonders feierlichen Augenblicken seines Lebens sich auch Casparus Seydell zu nennen pflegte, ist, ich muss das der Ehrlichkeit halber leider zugeben, ein etwas gewalttätiger tiger Mann gewesen. Im Jahre 1652 zerriß sein Hund -Pastorenhunde taugen selten etwas- einen Hammel des Kossäten Andres Sütebier. Da Seidel für die Schandtat seines Hundes offenbar nicht einstehen wollte, half Sütebier sich selber. Er weigerte sich, dem Pfarrer das übliche Meßkorn zu bringen. Da ließ Seidel dem Bauern zwei "mülkende Kühe" abpfänden. Jetzt ging eine Beschwerde an den großen Kurfürsten. Dieser schrieb dem Pfarrer: "Wir befehlen Euch hiermit die zwei Kühe unweigerlich verabfolgen zu lassen." Die sechs Scheffel Roggen aber solle er erst empfangen, wenn er den zerrissenen Hammel erstattet habe.

 

Kurz hernach taten Seidels Pferde im Gemeindekorne großen Schaden. Der Schulze sperrte die Missetäter in seinen Stall. Der Pfarrer ließ den Stall erbrechen. Eine neue Klage erging gegen den Geistlichen. Er habe "die Dorfgerichten verletzt". Sütebier sollte berechtigt werden, sein Meßkorn so lange zurückzuhalten, bis die Sache vor dem Kammergericht entschieden sei. - Jetzt schweigen die Akten. Dann bricht der Sturm aufs neue los. Seidel wird angeklagt, er habe eine Tat begangen, die lieber verschwiegen bleibe, die aber, wenn die Anzeige wahr war, ihn unbedingt ums Amt gebracht hätte. Der große Kurfürst greift aufs neue ein. Da kommt dem bedrängten Pfarrherren eine Sache zu Hilfe, auf die er kaum gerechnet hatte:  Lichtenrade wird vom Wasser schwer heimgesucht. Seidel schreibt an den Landesherren einen langen ergreifenden Brief über das Elend, in das seine Gemeinde geraten sei. Der Landesherr erlässt den bedrängten Bauern auf Jahre hinaus alle Lasten und Steuern. Und mit einem Male ist alle Feindschaft vergessen. Hund und Hammel - Meßkom und Kühe - Pferd und Dorfgericht alles, was sonst war - man hört nichts mehr davon. Der Pfarrherr hat noch zwanzig Jahre und länger, jetzt offenbar in Frieden, seine Herde geweidet.

 

Damit aber ist eine Sache angerührt, die eingehender besprochen werden muss und die Jahrhunderte hindurch bis zur Gegenwart unserem Orte zu schaffen gemacht hat, die Wassernot. Lichtenrade liegt auf der Höhe von Teltow. Ein Bolzen, der an der Kirche angebracht ist, gibt die Erhebung über dem Meeresboden auf 45,47 Meter an. Damit überragt es die meisten Nachbarorte, auch Berlin um ein Bedeutendes. Nur infolge seiner schlechten Vorflut kann und konnte es darum in Wassernot kommen.

 

Schon Georg Wilhelm hat sich noch vor dem Dreißigjährigen Kriege mit unseren Überschwemmungen beschäftigt. Er ordnete auch eine Untersuchung der Sache an. Aber dabei scheint es wohl wegen des großen Krieges geblieben zu sein. Schulze und Bauernschaft aber hatten an ihn geschrieben:

"Jährlich im Frühling und Herbste stoße das Wasser aus allen umliegenden Feldmarken in Lichtenrade zusammen und bleibe daselbst bestehen, alles Korn wird ertränket und verdorben. Ja dieses Jahr (1626) hätten sie auch nicht eine Klaue Viehs aus dem Dorfe auf die Weide bringen können und darüber sei dasselbe dermaßen verhungert und umgekommen, dass man es zu nichts mehr gebrauchen könne."

 

Im Jahre 1699 ging aus dem gleichen Grunde ein dringender Hilfeschrei an Friedrich III. Der kurfürstliche Baudirektor Grüneberger hat eine Besichtigung "Ins Worck gerichtet" und eine Entwässerung über Mahlow, Diedersdorf, Wittstock, Saarmund, also in die Nuthe hinein ins Auge gefasst.

 

Nach und nach kam diese in Gang, doch hat noch Friedrich der Große damit zu tun gehabt. Gleichwohl ist eine gründliche Abhilfe bis zum heutigen Tage nicht geschaffen. Ja, die merkwürdige Tatsache besteht, dass gerade der hochgelegenste Teil von Lichtenrade, das alte Dorf um den Teich herum, heute am meisten unterm Wasser leidet. Der "Puhl" ist zwar zu einem Sammelbecken für alle Tageswässer der vielen rund herum neu gepflasterten Straßen gemacht worden. Aber man hat gänzlich versäumt, dabei auch seine Entwässerung zu verbessern. Und so drängt seine Flut alljährlich in die benachbarten Hauskeller und macht deren Benutzung unmöglich.

 

Im Jahre 1665 wurde auch das letzte Drittel von Lichtenrade an den Berliner Dom verkauft. Der Kaufpreis betrug 925 Taler. Die Zeiten der "Schäume", deren einer Hieronymus (1600 - 1608) hier einmal gleichzeitig Grundherr und Pastor war, waren damit endgültig erledigt.

 

Unter der nun einheitlichen Verwaltung des Doms beginnt allmählich der Aufschwung unseres Dorfes. Die Herren Domkapitalsverwalter haben zwar oft sehr fest durchgegriffen. Sie haben mit Strafen für säumige Zahler, mit eigenhändigen Rutenstreichen für faule oder trunkene Bauern, nicht gespart. Wiederholt haben sie sogar schlechte Wirte von Haus und Hof gejagt, und den Neubelehnten stets ein Gleiches angedroht, wenn sie bummelten. Aber dabei versäumten sie doch nicht, sich im Notfalle ihres Dorfes auch an höchster Stelle entschieden anzunehmen.

Manch Gnadenerlass an Steuern ist uns durch ihre Vermittlung zugute gekommen, und bald kam die Zeit, wo

Lichtenrade mit 350 Talern Kontribution, 175 Talern Kavalleriegeld, 15 Talern Kriegsfuhr und Messkorngeld weit an der Spitze aller Teltowdörfer marschierte, und wo es ihm bei seiner Gemarkungsgröße und verhältnismäßig guten Einwohnerzahl nicht allzu schwer wurde, solche Last zu tragen. 

 

Einen geradezu sturmlaufartigen Schritt nahm diese Entwicklung zum Guten hinan, als durch die Separation jeder Bauer ein eigener Herr auf eigenem wohl abgerundeten Grund und Boden wurde. Wir besitzen eine alte Gemarkungskarte aus dem Jahre 1754. Sie zeigt das Lichtenrade, wie es damals wurde. Rund um den Kern der alten Dorflage mit Gehöften und Gärten liegen die weiten Feldpläne. Jeder der letzteren hat eine Größe von 80 - 90 Morgen (1 Morgen = 2.553 m², ein Quadrat mit 50,53 m. Jeder erhielt also 204.240 m² = 20,424 ha bis 229.770 m² = 22,977 ha - R.O.) Seitenlänge.  Jedem Bauern, sowie der Kirche und Pfarre gemeinsam, wurden 2 solche Pläne zugeteilt, einer im Osten, einer im Westen, also je einer mit schwererem und leichterem Boden. In der Südwest- und Südostecke lag der Wald. Dieser wurde in langen handtuchartigen Streifen zwischen die Dreizehn aufgeteilt. 
Die Kossäten wurden in der Nordostecke abgefunden. Noch um 1900, ehe die große Parzellierung einsetzte, ließ sich dies Bild deutlich erkennen. Nur auf einigen Bauerngütern war an Geschwister ein wenig Land ausgegeben worden. Und nur die Eisenbahn hatte die alten großen Linien um Südwesten durchschnitten. 

 

Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Realabgaben, die auf den Höfen lagen, abgelöst wurden, fiel der letzte Druck, der die Bauern daran erinnerte, dass sie einst "Hörige" gewesen waren. Ihre gesamten Abgaben an den Grundherren: Korn, Hafer, Gerste, Hühner, Eier, alles und jedes, wurde nach den billigen Sätzen der damaligen Zeit in Geldwert umgerechnet. Die Rentenbank der Provinz Brandenburg zahlte dem Dom soviel Rentenbriefe aus, dass durch deren 4 % Zinsertrag der Realabgabewert gedeckt wurde. Sich selber aber hielt die Rentenbank dadurch schadlos, dass sie den Wert der Rentenbriefe, samt einem Amortisationsbetrage verteilt auf 80 Jahre, nach und nach von den Höfen einzog. Die Belastung, die damit auf je einen der bäuerlichen Morgen fiel, betrug nur wenige Groschen. Und diese sind heute fast gänzlich abgezahlt.

 

Die schönste Zierde unseres Dorfes, unsere alte Kirche, erfuhr am Ende des 18.und Anfang des 19. Jahrhunderts zwei bedauerliche Veränderungen. Im Jahre 1769 wurden die alten schmalen Spitzbogenfenster und die kleine Kirchentür an der Südseite zugemauert. An ihrer Statt brach man, entsprechend dem damaligen Zeitgeschmack, die jetzigen Rundbogenöffnungen durch. Sie führen wohl dem Kirchenraum viel Licht zu, haben aber dem ganzen Gebäude für alle künftigen Zeiten seinen ursprünglichen Charakter, den Übergangsstil zur Gotik genommen.

 

Im Jahre 1810 aber musste wegen Einsturzgefahr der alte Turm, der der höchste "up dern Teltow" gewesen sein soll, abgetragen werden. Die Pfarrakten berichten darüber:

Die Rückseite beträgt folgenden Vermerk:

"In Vollmacht Sr. Königl. Hohheit des Kronprinzen von Schweden, Generalissimus der alliierten Nord-Armee, wird die umstehende Sicherheits-Marque hiermit durch uns für das Dorf Lichtenrade vollzogen. 
Berlin, 29. Oktober 1813 (L.S.) 
Allerhöchstverordnetes Militair-Gouvernement für das Land zwischen Elbe und Oder. 
L'Estocq

An Bülows Sieg im benachbarten Großbeeren am 23. August 1813 gemahnt ein anderes Schriftstück. Es veranschaulicht die Not, die die Kriegsstürme hervorgerufen hatten: "

Die Gemeinde zu Lichtenrade hat bey den Kriegsereignissen bey Großbeeren sehr gelitten. Alles, was in den Häusern und Höfen vorgefunden worden ist, ist ihr theils weggenommen, theils zerschlagen worden. An Sommergetreide, namentlich Erbsen, Hafer und Wicken, hat sie auch die Saat nicht behalten und doch ist ihr Schicksal bisher durch nichts gemildert worden. Um sich jedoch wieder von einer Zeit zur andern hin zu helfen, um kärglich Erbsen, Hafer und Wicken auf Hoffnung wieder aussäen zu können, haben die meisten ihre Zuflucht zum Verkauf der Saatgerste genommen und befinden sich daher in neuer Verlegenheit und Noth. - Solches wird auf Verlangen der Gemeinde, der Wahrheit gemäß bezeugt-. Lichtenrade, den 23. März 1814. Häfner, Prediger des Orts.

 

In demselben Jahre, in dem unsere Kirchengemeinde sich ihren neuen Turm erbaute (1902), verkaufte sie ein gut Stück des Pfarr- und Kirchenlandes, das südlich von der Bahnhofstraße und ihrer Verlängerung über den Bahnkörper fort gelegen war. Einen der Käufer, den Schlächtermeister Hilbert in Berlin, verpflichtete sie dabei durch eine hohe Geldstrafe, über das von ihm gekaufte Pfarrland fort, auch durch das Nachbarland hindurch, bis in den Wald hinein, binnen Jahresfrist eine Fahrstraße anzulegen. Die Kirchengemeinde tat das aus rein sozialen Gründen. Sie wollte den Berliner Ausflüglern eine Möglichkeit schaffen auf kürzestem Wege vom Bahnhof aus in den Wald zu kommen. - Das war die Geburtsstunde der Hilbertstr., ja mehr noch des neuen Lichtenrades, welches sich nun überraschend schnell aus einem 600 Einwohner - Dorfe zur Villenkolonie mit der zehnfachen Seelenzahl entwickelte. Mit einer vermehrten Masse der Ausflügler, die bald in die Tausende stieg, begann eine neue Zeit. Den Ausflüglern folgten die Parzellenkäufer, diesen Häuserbauer und Villeneigentümer. In manchem Jahr wurden Millionenwerte in Straßenbauten angelegt. Das Grundbuchamt in Berlin musste für uns einen besonderen Amtsrichter einstellen. Die Einkünfte der Ortsgemeinde aus Grundstücksverkäufen stiegen ins Niegeahnte.

 

An der Ecke bei Schiels Bäckerei (heute "Reichelt" mit der Bäckerei "Thürmann", Lichtenrader Damm Ecke Goltzstr. -R.O.) hörte noch zu Beginn dieses Jahrhunderts Lichtenrade auf. Jetzt ist dort der Mittelpunkt des Verkehrs für das alte Dorf, die Straßenzüge jenseits und diesseits der Bahn und das bairische Viertel. - Unser Bahnhof war weithin in freiem Felde eine einsam gelegene größere Wärterbude mit kümmerlichem Schalterraum, jetzt hat er einen Großberliner Verkehr, der oft geradezu erdrückend wirkt.

 

Ums Jahr 1900 fuhr einmal der Morgenzug, der noch heute kurz nach 7 Uhr nach Berlin geht, durch unsere stolze Haltestelle hindurch. Als ich mich darüber beschwerte, erhielt ich die tröstliche Antwort: Der Zugführer habe mich übersehen und geglaubt, es sei wie sonst so oft niemand da gewesen, der mitfahren wollte. Jetzt stehen täglich hunderte wartend auf dem Bahnsteige. - Unsere Post wurde im "Nebenamte" von einem fleißigen Handwerker verwaltet. Ein Briefträger bediente den ganzen Ort. Jetzt haben wir ein großes Postamt mit einer stets wachsenden Beamtenschar. - Kurz, die Entwicklung ging ins Unmessbare. - Ja, eine Zeitlang waren wir tatsächlich der Berliner Vorort, der das stärkste Wachstum hatte - da kam der Krieg, der unglückselige Krieg! Und nun nach dem Kriege der Großberliner Eingemeindungsgedanke!

 

 

 

Pfarrer E.F. Klein
* 14.4.1863   
  3.4.1953
Pfarrer in Lichtenrade von 1893 bis 1929

 


Erklärung Hufe:


Das Wort Hufe oder Hube ist mit dem Begriff Hof verwandt. Im Mittelalter diente es noch ganz allgemein zur Bezeichnung bäuerlichen Grundbesitzes, ohne dass eine bestimmte Flächengröße damit genannt werden sollte. Eine Hufe war eben ein gewisser Anteil an den Ländereien eines Dorfes. Zweifellos waren solche Anteile innerhalb einer Gemarkung meistens von gleicher Größe. Sie aber konnte von Dorf zu Dorf schon stark wechseln. Später bildeten sich solche >Anteilshufen< zu vermessenen >Flächenhufen< und erhielten dabei besondere Namen (Königshufe, Landhufe, Volkshufe, Priesterhufe, Waldhufe u.s.w.). Bei der Festlegung der Größe solcher Flächenhufen bediente man sich ortsüblicher Landmaße. Da außerdem die Bonität des Bodens berücksichtigt wurde, schwankten die Hufengrößen innerhalb der gleichen Gemarkung erheblich. Es sind Hufengrößen von 15 bis 160 örtlicher Morgen nachgewiesen. Da nicht bekannt ist, wie groß diese Morgen im Einzelfalle waren, sind exakte metrische Vergleichsmaße kaum zu errechnen. Unter anderem für die hier verbreitete preußische Hufe gibt es jedoch einen genauen Wert: 1 preußische Hufe = 1,5 Haken = 30 Morgen = 300 Gewende = 900 Seilen (oder Schnur) = 76.596,746 qm.


Eine Hufe ist ein altes deutsches Flächenmaß, das in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Größe aufweist ( meist zwischen 30 bis 80 Morgen ; also 7,5 bis 20 ha).


Verbreitet waren die flämische Hufe mit rd. 16,8 ha, die fränkische Hufe mit rd. 24 ha und die Hagenhufe mit rd. 20 ha.


Man ging, je nach Bodengüte davon aus, daß eine Hufe Land eine Bauersfamilie ernähren konnte und in der Regel konnte man daran sehen wie wohlhabend eine Familie war. Die Hufen waren meist lange Streifen Ackerlandes, die an der Dorfstraße - dort stand auch das Gehöft - begannen und sich dann bei 200 Meter Breite 500 Meter lang erstreckten.


Häufig war am Ende der Hufe Wald vorhanden, aus dem Holz für Gerätschaften und zum Heizen und Kochen geholt wurde. Im Laufe der Zeit wurde aus einer zusammenhängenden ganzen Hufe, die eine Familie bewirtschaftete, durch Tausch, Mitgift, Verkauf usw. ein Gewirr von mehr oder weniger großen Stücken Land, die schließlich über die gesamte Dorfgemarkung verteilt sein konnten. Dennoch wurde die Gesamtfläche, die zu versteuern war, nach der Hufenzahl berechnet. Denn zugleich war die Hufe auch ein Steuerbegriff, dass heisst, für jeweils eine Hufe, bestehend aus Ackerland, Weiden, evtl. Wald und dem Gehöft, war ein bestimmter Betrag zu zahlen. Wer eine ganze Hufe bewirtschaftete, war ein Hüfner oder Vollhüfner. Eine geteilte Hufe wurde dementsprechend von zwei Halbhüfnern bearbeitet. Natürlich gab es auch noch Zweihüfner, Dreihüfner usw. Grundstücke, die kleiner waren und wegen ihrer Größe nicht zum Vollerwerb reichten wurden je nach Gegend Büdner oder Kätner genannt. (Quelle: aus www.kirchengemeinde-lichtenrade.de von Pfarrer Klein).

Was wird wird nun mit uns werden? Dass wir zum 1. April 1920 oder bald darauf zur Weltstadt gehören werden, ist heute wohl keine Frage mehr. Nun - und dann ?! Wird unser lieber alter Ort im Magen eines Ungeheuers sein Ende haben? - Oder wird er im wohlgeordneten Hause einer treuen Mutter liebevolle Pflege, erweiterte Aufgaben und neue Freunde finden?

 

 

Ende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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